Nachbericht zur Veranstaltung Kehrtwende Ungleichheit am 05.03.2024 in Salzburg.
Länder mit höherer Gleichheit erzielen bessere Resultate in den Bereichen Bildung, soziale Mobilität, Lebenserwartung, psychische und physische Gesundheit sowie sinkender Kriminalität. Das scheint aus österreichischer Sicht vielleicht wenig überraschend. Aber selbst die reichsten Menschen profitieren von einem höherem Wohlergehen für Alle, wie es in skandinavischen Ländern oder Japan der Fall ist.
Warum ist das so? Auf welchem Standpunkt befindet sich Österreich? Und welche Maßnahmen braucht es, um eine gerechtere, gleichere Gesellschaft weiterzuentwickeln?
Im aktuellen Bericht “Earth4All” des Club of Rome wird die Ungleichheit innerhalb von Nationalstaaten als eine der fünf zentralen Kehrtwenden thematisiert. Daher fanden zu diesem Thema am 5. März 2024 Vorträge sowie eine Panel-Diskussion im Agnes-Muthspiel-Hörsaal an der Universität Salzburg statt.
Meike Bukowski von der Universität Salzburg und Fritz Hinterberger vom Club of Rome – Austrian Chapter richteten ihre Begrüßungsworte an die zahlreich erschienenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Saal sowie digital vor den Bildschirmen, und gaben eine kurze Einleitung in das Projekt “Earth4All”.
Hannes Swoboda, Präsident des Club of Rome – Austrian Chapter, startete die
Veranstaltung mit einem Plädoyer:
Klimapolitik, Gleichheits-, sowie diskriminierungsfreie Sozialpolitik müssen stärker miteinander verzahnt werden. Denn auch in Österreich als reiches Land herrscht Ungleichheit: Leistungen im sozialen Wohnbau kommen nicht unbedingt den ärmsten Menschen zugute. Menschen mit weniger Einkommen haben weiterhin schlechteren Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen. Die Eliten, ob national oder international, können sich vor Klimaschäden und Umweltkatastrophen noch retten. Doch diese Ungleichheiten gilt es auch in Österreich zu verringern und zu bekämpfen.
Gastvortrag von kate pickett
Im ersten Gastvortrag, zugeschaltet aus dem Vereinigten Königreich, spricht Kate Pickett, Mitautorin des Earth4All Berichts von der Universität York über die Verbindungen zwischen Ungleichheit, Wohlbefinden und Nachhaltigkeit.
Die von Richard Wilkinson und Kate Pickett entwickelte Spirit-Level-Theorie legt die These, dass Gesellschaften mit geringerer Ungleichheit bessere Gesellschaften sind, weil die Menschen weniger von Statusangst geplagt werden. Die bisherige Sozialforschung hat diese Idee weitgehend unterstützt.
Pickett ist sich sicher: “Während Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen ihr BIP pro Person (und somit ihre Wirtschaft) steigern müssen um die Lebenserwartung und Lebensqualität zu verbessern, gibt es in reicheren Ländern keinen Zusammenhang mehr zwischen einem Anstieg der Lebenserwartung und dem Bruttoinlandsprodukt.” Die Entwicklung in Richtung grüner Transformation wird auf stark verbreiteten Widerstand stoßen, wenn die Menschen “nicht das Gefühl haben, dass die Lasten des Wandels und die dafür notwendigen Maßnahmen gerecht verteilt werden.” Der ökologische Fußabdruck der Reichen ist so groß, dass er nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit verkleinert werden muss, sondern auch, um einen weiteren Hebel im Klimaschutz zu haben. Am Ende Ihres Vortrags verweist sie auch auf die Notwendigkeit interdisziplinäre Zusammenarbeit: “Die Mainstream-Ökonomen sprechen nicht mit Soziologen und Psychologen. Unsere Universitäten als Zentren des Lernens und Forschens sind nicht unbedingt so strukturiert, dass sie interdisziplinäre Arbeit einfach ermöglichen. Nur die (interdisziplinäre) Zusammenarbeit hilft uns, Lösungen für eine gerechtere Zukunft zu finden.
Gastvortrag von Martin schenk
Im zweiten Vortrag spricht der Psychologe, Sozialexperte und Armutsforscher Martin Schenk über die Beziehung zwischen psychologischer und materieller Armut.
Die Maslow-Pyramide ist laut Schenk psychologisch widerlegt, und somit falsch. Denn Armut ist nicht einfach ein Mangel an Gütern, sondern ein Mangel an Möglichkeiten und Handlungsräumen. Die Dimensionen des guten Lebens sind organisch miteinander verbundene Netzwerke: Unser Alltag der Weltbeziehungen ist oft mit psychologischer Armut verbunden.
Einsame Menschen erfahren oft mangelnde Teilhabe und einem damit einhergehende Gefühl von Selbstwirksamkeit. Daraus ergibt sich oftmals auch fehlendes Vertrauen in die Mitmenschen oder Gesellschaft allgemein. Es braucht also auch eine sozialpsychologische Intervention, um Menschen effektiv aus der Armut zu holen.
Auf einer konkreten materiellen Ebene hätten laut Schenk viele Menschen der unteren Mittelschicht keine Freunde oder Verwandte, die mit ihrem Geld einspringen können, wenn es knapp wird. Die obere Mitte habe diese Möglichkeiten sehr wohl. Die Haushaltseinkommen der unteren Mitte werden durch staatliche Gesundheits- und Wohnleistungen gestützt. Doch deren Wohlstandsniveau wäre vernichtet, würden sozialstaatliche Leistungen eingeschränkt oder stark gekürzt. Dies sei in den USA und UK bereits der Fall. Es brauche auch in Europa eine starke zivilgesellschaftliche und institutionelle Gegenbewegung, um dies aufzuhalten.
Gastvortrag von Andeas Koch
Von der Uni Salzburg berichtet Andreas Koch im dritten und letzten Vortrag über die Funktionalisierung von Armut. In Österreich sei die Einkommensungleichheit wesentlich niedriger als die Vermögensungleichheit. Doch das werde kaum thematisiert. Viel eher gäbe es sogar eine wechselseitige negative Verstärkung zwischen Politik und Gesellschaft in sozialen Fragen. Soziale Exklusion wird teils sogar offen propagiert, und das Aussetzen von Grund- und Menschenrechten offen diskutiert.
Zum Thema des bedingungslosen Grundeinkommens äußert sich Koch kritisch. Das Grundeinkommen könne nur eingeführt werden, wenn dies nicht auf Kosten der aktuellen Sozialleistungen gehe. Er diskutiert Emanzipationsversprechen und ökonomische Folgewirkungen als “nicht selbstverständlich” positiv. Das Solidaritätsversprechen in Österreich dürfe durch ein Grundeinkommen nicht gefährdet werden.
PANELDISKUSSION
Der anschließende Paneltalk, moderiert von Daniela Molzbichler von der FH Salzburg, ermöglichte eine Reaktion und einen Austausch zwischen den Panelisten, sowie dem Publikum vor Ort und auf Zoom.
Eva Stöckl von der Arbeiterkammer Salzburg sieht in den multiplen Krisen der letzten Jahre, dass viele Ungleichheiten die vorher existierten, “weiter zunahmen, teils in einer Form.” “Wir haben Krisengewinnerinnen wie Energieunternehmen, aber auch eine zunehmende Mitte der Gesellschaft die Wohlstandsverluste erfahren musste”. Die Begrenzung von Überreichtum in unserer Gesellschaft, ebenso die Stärkung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Gewerkschaften sieht sie als gesellschaftliche Aufgabe. Als Vertreterin der Arbeiterkammer betonte sie besonders die Besteuerung als wichtigen Hebel.
Peter Linhuber berichtet als Sozialarbeiter aus der Praxis. Einen “Giant Leap”, also eine große Verbesserung in sozialen Fragen sieht Linhuber im materiellen, wie auch im immateriellen wie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt: “In einer gleicheren, besseren Zukunft hätten wir uns, glaube ich, demokratisch auf Grundbedürfnisse geeinigt, und da geht es eben nicht nur um Brot, sondern hoffentlich auch um Rosen. Wobei aus Sicht der Wohnungslosenhilfe sind wir auch bei den materiellen Grundbedürfnissen im reichen Österreich noch nicht so weit dass wir uns entspannt zurücklehnen könnten.”
Georg Reibmayr vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz behandelt die Ungleichheit in Österreich aus der Verwaltungs- und Politikebene. Im Zusammenspiel zwischen sozialer und ökologischer Politik sieht er einige Zielkonflikte. Diese müssten “überwunden werden”. Er stellt fest, dass es nicht nur global eine eine Klimaungleichheit gibt sondern auch innerhalb von Österreich. Unterschiedliche Gruppen seien “auf ganz verschiedenen Ebenen” betroffen von den Folgen des Klimawandels.
Auf Nachfrage aus dem Publikum äußert Andreas Koch Bedenken dass das Grundeinkommen “das kapitalistische System sogar verschärfen“ könnte. “Wenn selbst Uniprofessoren ein bedingungsloses Grundeinkommen bekämen, würde die Umverteilung nicht berücksichtigt.”
Zum Thema Grundeinkommen äußert sich auch Stöckl kritisch: “Wir haben Berechnungen gemacht, ob wir uns ein bedingungsloses Grundeinkommen leisten können. Wir würden jährlich ungefähr das Gleiche ausgeben müssen, wie wir jetzt für Sozial und Gesundheitsausgaben verwenden.” Ausgehend von 1000 Euro pro Kopf und Monat wären das in Österreich rund 110 Milliarden. Dadurch würden aber alle sozialstaatlichen Gesundheitsleistungen ersetzt: “Vom kostenlosen Arztbesuch bis hin zur Pension.” Daher sei sie eine Verfechterin des Sozialstaates in einer ausgebauten Form.
Aus ihrer Sicht gäbe es derzeit kein definiertes Existenzminimum, von dem man wirklich leben könne und auch soziale Teilhabe hätte. In einer umfassenden sozialen Unterstützung gehe es nicht nur um die Anhebung von Regelsätzen, sondern um ein Niveau, auf dem jeder an einem guten gesellschaftlichen Leben teilhaben könne. Solche Leistungen seien aus Stöckl’s Sicht in einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht zielgerichtet verteilt. Denn es brauche gleichzeitig Grundleistungen im Bereich der sozialen Infrastruktur, im Bereich Gesundheit, im Bereich Elementarbildung, Bildung, die allen zugutekommen.
Hier gibt es alle Inhalte zur Kehrtwende Ungleichheit:
https://www.clubofrome.at/projekt-earth4all-oesterreich/kehrtwende-ungleichheit/