von Hannes Swoboda (Präsident des Club of Rome – Austrian Chapter)
Die derzeit in Venedig stattfindende Architekturbiennale zeigt deutlich den Wandel den uns die Klimaveränderungen „aufzwingt“. Über lange Zeit hinweg war das Selbstverständnis der Architekturszene vom Renovieren und Bauen einzelner Bauten geprägt. Selbstverständlich haben schon immer gute ArchitektInnen die bestehende Umgebung bzw. Umwelt mit in Betracht gezogen. Aber erst nach und nach wurde ihnen klar, dass sie ja selbst die Umwelt und auch sogar die Klimaverhältnisse entscheidend mitprägen bzw., dass sie eine breitere gesellschaftliche Verantwortung tragen. Das kommt schon seit einiger Zeit in den Ausstellungen verschiedener Architekturmuseen zum Ausdruck. So hat sich das Wiener Architekturzentrum AZW mit den Fragen des nachhaltigen Bauens, der Wiederverwertung von Baumaterial und derzeit auch mit dem Flächenfrass durch die Bautätigkeit gerade auch in Österreich beschäftigt.
Zurück zur diesjährigen Architektur Biennale in Venedig. „How we will live together“ ist die Grundsatzfrage, die die Biennale stellt. Und dass wir zusammen bzw. gemeinsam leben müssen, wird jedem/jeder klar der/die die stark gestiegene Bevölkerungszahl zur Kenntnis nimmt. Und angesichts der gerade in diesem Sommer stark spürbaren Naturkatastrophen gibt es kaum ein Entrinnen vor den Folgen dieser Katastrophen. Nicht jede einzelne Katastrophe ist auf den Klimawandel zurückzuführen. Aber die Summe der Waldbrände und Überschwemmungen hängen sicherlich mit den nachweislich gestiegenen Temperaturen zusammen.
Anspruch auf ein angemessenes Zuhause
Jedenfalls macht die Biennale klar, dass wir in einer (!) Welt leben und keine zweite zur Verfügung haben. Auch wenn einige jetzt nachdenken, wie und wann wir den Mond oder andere Planeten besiedeln können, ist das keine Lösung für die vielen Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind. Ein solcher Eskapismus befriedigt zwar das Ego einiger Vermögender, hilft uns aber nicht weiter. Die Biennale macht auch klar, dass alle (!) Menschen einen Anspruch auf ein angemessenes Zuhause haben. Das gilt auch für Flüchtlinge. Damit schneidet die Biennale auch die soziale Frage an. Und in der Tat, wer auf den Klimawandel nachhaltig reagieren möchte, muss auch die Minderung der sozialen Ungleichheit, die vielfach sogar zugenommen hat, in die Veränderungsstrategie mit einbeziehen. Architektur, das heißt Städtebau und Regionalgestaltung, müssen Teil einer umfassenden Gesellschaftspolitik werden – auf lokaler, regionaler und globaler Ebene (siehe dazu auch den Beitrag „Architecture, Climate and Peace“ auf iipvienna.com).
Bauen und Gestalten muss sich auch in die Entwicklung einer „circular economy“ einfügen. Ein Beispiel dafür ist eine vom Bauunternehmen Holcim in Venedig präsentierte Brücke aus am Computer konstruierten und von einem 3-D-Drucker gefertigten Betonbestandteilen. Die Fertigelemente hat übrigens die österreichische Jungfirma Incremental3D hergestellt. Das Material ist laut Angaben der Firma am Ende der Lebensdauer vollständig wiederverwertbar. Holcim betreibt überdies bereits ein Recyclingzentrum in der Schweiz. Ich will damit keineswegs Propaganda für einen Bauriesen machen, sondern nur aufzeigen, dass es in allen Bereichen Möglichkeiten gibt, der Nachhaltigkeit und der Wiederverwertung gerecht zu werden. Die Architektur muss keineswegs ihren künstlerischen Anspruch aufgeben. Es geht nicht darum, die künstlerische Dimension durch eine ökologische zu ersetzen. Sondern es geht um Integration und Gleichzeitigkeit. So hat auch die EU-Kommissionspräsidentin bei der Präsentation des „Europäischen Bauhauses“ festgestellt: “Es geht darum Nachhaltigkeit und Ästhetik zu vereinen.“
Natur als integraler Bestandteil der baulichen Entwicklung
Überhaupt setzt die Biennale darauf, dass Architektur mit vielen anderen Wissenschaften und Künsten in Verbindung gebracht werden muss. Sie muss von anderen Disziplinen lernen und multi-disziplinär agieren. In diesem Sinn muss Natur – auch wenn sie vom Menschen schon stark geprägt ist – in die bauliche Gestaltung mit einbezogen bzw. integriert werden. Das „Grün“ sollte nicht einfach hinzugefügt werden, sondern ein integraler Bestandteil der baulichen Entwicklung werden.
Von „anderen lernen“ ist einer der Slogans der Biennale. Dabei geht es nicht nur um die verschiedenen Disziplinen, sondern auch um verschiedene Kulturen und Regionen. Die Biennale wendet sich gegen eine westliche Arroganz bzw. gegen die Überheblichkeit der „entwickelten“ Regionen gegenüber den ärmeren Ländern. Von “anderen lernen“ – auch von „primitiven“ Kulturen – heißt keineswegs „Zurück in die Steinzeit“ sondern es geht um die Wiederentdeckung von Einstellungen und Verhaltensweisen von Gemeinschaften, die auch heute noch von Nutzen sein können. Gerade auch im Hinblick auf die Erhaltung und Pflege der Natur. Eine solch offene Einstellung widerspricht nicht der Erforschung und Entwicklung neuer Technologien. Wie das Beispiel der Wiederverwertung von Beton zeigt, brauchen wir auch neue Technologien.
Zirkuläre Prozesse beim Bauen
Sicher gibt es guten Grund, das Bauen mit Holz zu propagieren. So meinte unlängst der ehemalige Leiter des Potsdamer Instituts für Klimaforschung Hans Joachim Schellnhuber: „Wenn wir Stahlbeton durch organische Materialien wie Holz oder Bambus ersetzen, können wir erhebliche Mengen an klimaschädlichen Emissionen vermeiden. Mit regenerativer Architektur können wir uns quasi aus der Klimakrise herausbauen“. Aber die Verwendung von Beton wird nicht aus unserer Welt verschwinden. Dieser muss jedoch Bestandteil der „circular economy“ bzw. des zirkulären Bauens werden, dazu gehört allerdings auch ein nachhaltiger Produktionsprozess. Jedenfalls muss auch die Architektur und das Ingenieurwesen einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten – nicht nur in Europa.
Wenn die Biennale auch Europa empfiehlt, weniger arrogant aufzutreten, so muss man doch gerade von Europäern erwarten, dass sie versuchen bei der Klimapolitik Vorreiter zu sein. Und in der Tat ist das jüngst von der EU-Kommission vorgeschlagene Klimapaket global gesehen beispielgebend. Manche meinen es geht zu sehr ins Detail, man sollte sich eher auf die Ziele der CO2 Reduktion konzentrieren und nicht die Methoden und Maßnahmen einer fortschrittlichen Klimapolitik vorschreiben. Aber auf der anderen Seite geht es auch darum, klarzumachen, dass Maßnahmen wie die Bepreisung von CO2 nicht genügen. Wir brauchen eine Vielfalt von Maßnahmen und ein vernetztes Denken, wenn wir die Erderwärmung bekämpfen und auch die unmittelbaren Lebensbedingungen verbessern wollen. Und dies nicht nur für einige wenige, sondern für alle – vor allem diejenigen, die sozial benachteiligt sind. Eine neue Architekturauffassung wie sie die heurige Biennale vertritt ist ein Bestandteil einer solchen umfassenden Klimapolitik für unsere Welt – und wir haben nur diese eine Welt!