von Hannes Swoboda

Kaum ein Wirtschaftssektor ist dermaßen im Umbruch und schwankt zwischen verschiedenen Zukünften wie die Landwirtschaft. Wenn wir anderseits die Konsument:innen betrachten, so sehen wir viele davon „überernährt“ und anfällig für Krankheiten. Auf der anderen Seite finden wir viele, die ebenfalls anfällig für Krankheiten sind, aber weil sie unterernährt sind und an Hunger leiden. Wir erleben überdies viele Kriege, seit einigen Jahren auch in Europa, die wichtige landwirtschaftliche Flächen zerstören – unter anderem durch Auslegung von Minen, die die Erzeugung bzw. den Transport von Düngemittel erschweren oder verhindern. 

Die Ungleichheit ist vielerorts durch die ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln und den entsprechenden Ressourcen wie Land, Saatgut und Düngemittel bedingt. So fallen in der industriellen Welt auf einen Hektar im Durchschnitt 250 kg Düngemittel, während es in Afrika 50 kg sind. Jetzt kommt es darauf an diese Ungleichheiten, nicht zuletzt durch ein Mehr an Nahrungsmittel zu bekämpfen, ohne (!) allerdings die Natur noch stärker zu belasten. Ja, wir müssen sogar die Landwirtschaft von einem Kohlenstoffemittenten in einen Kohlenstoffspeicher verwandeln.

Der Bericht an den Club of Rome „Erde für Alle“ definiert das Ziel der Ernährungskehrtwende als die Errichtung eines „gesunden Ernährungssystem für Mensch und Planet“. Zu diesem Zweck bedarf es der „Revolutionierung der Landwirtschaft“, der „Umstellung der Ernährung“ und der „Verhinderung der Nahrungsmittelverluste und -verschwendung“. 

Revolutionierung der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft der industriellen und westlichen Wirtschaft hat ohne Zweifel eine enorme Wohlstandssteigerung in diesen Ländern bewirkt. Allerdings hat sie dies nur mit großen Opfern geschafft. Die Leidtragenden sind viele Bauern, die mit der industriellen Agrarwirtschaft nicht mithalten konnten, die Qualität der genutzten Böden und die Artenvielfalt durch eine Überdüngung, sowie Landwirte in den ärmeren Ländern, die von subventionierten Lebensmittelexporten aus den lokalen Märkten vertrieben wurden.

Bartholomäus Grill, einer der Journalisten, die sich seit Jahren intensiv mit der Agrarwirtschaft und der Agrarpolitik beschäftigten, spricht im seinem Buch „Bauernsterben“ zugespitzt von einem Agrarkrieg: „Der Krieg wird gelenkt durch die Feldherren des Agrar- und Nahrungsmittelsektors; die Rüstungsgüter liefern Chemie-, Pharma- und Saatgutkonzerne; für die Propaganda sind Landwirtschaftspolitiker, Funktionäre der Bauernverbände und Lobbyisten zuständig. In der Etappe marschieren die Finanzbataillone. Die konventionellen Landwirte bilden das Heer der Fußsoldaten. […] Der moderne Landwirt agiert gleichgültig, rabiat und gierig. […] Er ist der Prototyp unserer räuberischen Spezies, des Homo sapiens.“ 

Allerdings gesteht er ein: „unsere Nahrungsmittelproduzenten sind Täter und Opfer zugleich“. Und „erpresserische Kartelle von Lebensmittelkonzernen, Supermärkte, Discounter, Molkereien und Großschlachtereien“ drücken die Preise, weil sie „die Endverbraucher mit immer billigeren Waren beglücken“ wollen. Wir müssen uns fragen, ob dieses Bild eines „Agrarkrieges“ und einer von Konzernen erpressten Bauernschaft stimmt oder inwieweit es sich um ein grob verzerrtes Abbild der Realität handelt. Es ist ja nicht nur Bartholomäus Grill, der so denkt, sondern viele Mitbürger:innen haben zumindest ähnliche Vermutungen. Wir sollten auch nicht übersehen, dass schon einiges an der Agrarpolitik gerade auch der Europäischen Union verbessert worden ist. 

Aber es gibt ständig Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Interessen. Aber sicherlich ist manches, zum Beispiel Fleisch in den Supermärkten, zu billig angesichts der damit verbunden Umweltbelastung und der Arbeit der Bauern. Hier eine Kehrtwendung zu erreichen ist eine Herkulesaufgabe. Allerdings, wenn wir die bäuerliche Struktur in ihrem Kern – und damit auch die gesellschaftliche Struktur – erhalten wollen, müssen wir uns dieser Herausforderung stellen. Dabei können neue (digitale) Technologien durchaus helfen, die agrarischen Aufgaben besser zu bewältigen – jenseits der Idylle, die wir mit dem bäuerlichen Leben verbinden. 

Sicher kann man davon ausgehen, dass die Produktivitätssteigerung in der europäischen Landwirtschaft den wirtschaftlichen Aufschwung Europas mitgetragen hat. Aber es ist höchste Zeit daran zu arbeiten, wie eine produktive Landwirtschaft global mithelfen kann Unterernährung und Hunger abzubauen – ohne allerdings die CO2 Belastung zu erhöhen. Wir brauchen also entscheidende Schritte in Richtung „nachhaltiger Intensivierung“ und „regenerativer Landwirtschaft“. Dabei geht es um den Schutz bzw. den Aufbau gesunder Böden und um pflanzliche Vielfalt. Die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Biodiversität ist kein Hobby einiger Naturliebhaber. So ist vor allem die Pharmaindustrie an der Biodiversität interessiert, werden doch nach wie vor viele Medikamente direkt oder indirekt aus Pflanzen hergestellt. In der NZZ war kürzlich zu lesen: „Rund 80 Prozent aller registrierten Arzneimittel und mehr als 70 Prozent aller Krebsmedikamente werden aus Pflanzen gewonnen oder sind von der Natur inspiriert.“

Wichtig ist eine Fülle von Maßnahmen, die die „Degradierung“ der Anbauflächen bzw. ihre Umwidmung und Umnutzung vermeidet. Dazu gehört auch eine Reduzierung der – gerade auch in Österreich – ungebremsten Zersiedelung und Versiegelung von wertvollem Grund und Boden. Und was unseren Nachbarkontinent Afrika betrifft, gehen viele Expert:innen davon aus, dass dieser Kontinent eine globale Kornkammer sein könnte, würde man den ungenutzten Boden zur ökologisch wertvollen Nutzung heranziehen. Immerhin besitzt Afrika rund 60 Prozent der weltweit vorhanden ungenutzten Agrarflächen. Der Bericht „Erde für Alle“ geht jedenfalls davon aus, dass der notwendige „Giant Leap“ nach vorne nur möglich ist, falls 80 Prozent der Agrarflächen umgewandelt also nachhaltig bewirtschaftet werden würden.

Umstellung der Ernährung 

Eng mit der Umwandlung im Bereich der Landwirtschaft ist die Umwandlung des Konsumverhaltens verbunden. Dabei müsste gleichzeitig die Unterernährung bekämpft und die Über- bzw. Falschernährung abgebaut werden. In den reichen Ländern essen wir zu wenig Obst und Gemüse und zu viel an Zucker und rotem Fleisch. 

Wenn die Bevölkerung der ärmeren Länder nur einen Bruchteil des Fleischs konsumieren wollen, das die reicheren Bevölkerungen verzehren, dann müsste dort der Fleischkonsum drastisch zurückgehen bzw. das Fleisch zunehmend künstlich erzeugt werden. Viele gehen davon aus, dass diese Veränderung im Konsumverhalten Verbesserungen im Bereich der künstlich – vor allem durch Präzisionsfermentierung – hergestellten Lebensmittel, vor allem von Milch, Käse und Fleisch bedingt. Der schon erwähnte Giant Leap nach vorne setzt laut den Autor:innen von „Erde für Alle„ voraus, dass 50 Prozent des roten Fleischs klimaneutral hergestellt werden müsste. 

Hinzu müssten sicher auch neue Formen des Anbaus wie City Farming, Vertical Farming und Indoor Farming kommen. Bei all dem geht es nicht darum, den klassischen Bauer bzw. Farmer zu ersetzen, sondern um Ergänzungen, die auch individuelle landwirtschaftliche Tätigkeiten ermöglichen. Dadurch könnte sogar die emotionale Verbindung zu der landwirtschaftlichen Bevölkerung verstärkt werden.
Wir alle wissen, wie schwer es vielen fällt, die Konsumgewohnheiten zu ändern und darin besteht sicher eines der größten Hindernisse für den Giant Leap nach vorne. Die kritische Haltung vieler jüngerer Leute gegenüber dem Fleischkonsum gibt diesbezüglich sicherlich Anlass zu Hoffnung. 

Reduzierung des Verlusts und der Verschwendung von Nahrungsmittel

Würde es keine Verschwendung und keinen Verlust von Nahrungsmitteln geben, könnte rein rechnerisch die Unterernährung und der Hunger aus der Welt verschwinden. Aber Lebensmittel werden, vor allem in reicheren Ländern und von reicheren Bevölkerungsgruppen, weggeworfen und können nicht in ärmere Länder transportiert werden. Aber immerhin gibt es verschiedene Aktionen wie „Essen für Alle“, die versuchen, übriggebliebene Lebensmittel an ärmere Schichten wie Flüchtlinge und Obdachlose in den reicheren Ländern zu verteilen. 

Die ärmeren Länder hingegen verlieren einen Teil der Lebensmittel durch Mängel in der Infrastruktur, vor allem bei der Lagerung, der Verarbeitung, dem Transport und der Verteilung. Da müsste Abhilfe geschaffen werden. Aber das geht nur durch eine Umstellung der Finanzierung in Richtung billigerer Kredite.

Schlussfolgerungen 

Der Bericht an den Club of Rome „Erde für Alle“ ist nicht naiv. Er zählt auch die vielen Hindernisse auf dem Weg zur Transformation von Landwirtschaft und Ernährung auf. Da sind eine Reihe von Widerständen im Konsumverhalten aber auch bei den traditionellen Bauern zu berücksichtigen. Widerstand kommt auch von großen Konzernen, die Saatgut produzieren und vertreiben. Auch wenn – unter Druck mancher zivilgesellschaftlicher Organisationen – einige Konzerne Verbesserungen angekündigt haben, so besteht noch Luft nach oben. Widerstand gibt es auch von öffentlichen und privaten Bodenbesitzern, die in der Landwirtschaft zu wenig Gewinn sehen. Und so schreitet auch in Österreich die Versiegelung wertvollen Bodens voran. 

Aber all das darf uns nicht entmutigen, auf die Notwendigkeit einer nachhaltigen Produktion und eines nachhaltigen Konsums hinzuweisen – so schwierig manche Umgewöhnung ist. Hoffnung kann uns auch das Verhalten der Wirtschaft geben. Viele Unternehmungen orientieren sich bereits an den neuen Herausforderungen. Investitionen in nachhaltig genützte Böden werden beworben. Allerdings müssen wir aufpassen, dass dies nicht zu Spekulationen zum Nachteil der Bauern und Konsument:innen führt. Es zeigt uns jedenfalls, dass die Reise zu einer nachhaltigen Agrar- und Ernährungswirtschaft schon viele Kreise erfasst hat. Und das ist erfreulich. 

Spendenaufruf: Nothilfe für Kinder und Familien in Israel und Palästina – Unterstützung für Ernährung und Sicherheit

In Zusammenhang mit der Veranstaltung am 12.12.2023 ist es wichtig, auch die aktuellen Konflikte und Krisen nicht außer Acht zu lassen.

Die anhaltenden Konflikte in Israel und den palästinensischen Gebieten haben unzählige Leben beeinträchtigt. SOS-Kinderdorf setzt sich intensiv für die Unterstützung betroffener Kinder und Familien ein, indem es nicht nur Schutz und psychologische Betreuung, sondern auch lebenswichtige Ernährungshilfe anbietet.

In dieser Krisenzeit sind die Bedürfnisse groß und die Ressourcen begrenzt. Ihre Spende kann dazu beitragen, diesen Familien dringend benötigte Nahrungsmittel sowie langfristige Unterstützung zu gewährleisten.

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