Es ist kein Zufall, dass Earth4All, der aktuelle Bericht an den Club of Rome, von den geforderten 5 Kehrtwenden die 🔗Armutskehrtwende als erstes behandelt. Globale Armut ist sicherlich das aktuell dringendste globale Problem. Sie zu bekämpfen ist nicht nur eine Voraussetzung für individuelles Wohlbefinden und friedliches Zusammenleben, sondern auch für eine erfolgreiche klimapolitische Strategie.
von Hannes Swoboda (20.03.2024)
Der Bericht an den Club of Rome macht aber auch klar: „die Wirtschaft der Ärmsten darf wachsen.“ Damit wird auch all jenen eine Absage erteilt, die generell für ein Ende des Wachstums plädieren. Aber natürlich fordern die Autor:innen ein „anderes“ Wachstumsmodell ein, nämlich ein faires und umweltverträgliches.
Darüber sprechen wir in der nächsten 🔗Veranstaltung des Earth4All Projektes am 2.4.2024.
Die Rolle von Österreich
Gerade auch Österreich mit seinem Modell der sozialen Marktwirtschaft und vielen ökologischen Ansätzen kann hier ein willkommener Partner sein. Und auch die entwicklungspolitischen Grundsätze und Zielsetzungen, die die Bekämpfung der Armut und die Klimapolitik im Mittelpunkt sehen, gehen in die richtige Richtung.
Dennoch könnte ein verstärktes Engagement in den armen Ländern des Südens, insbesondere auch in Afrika, von gegenseitigem Nutzen sein. Das starke Engagement Österreichs in seiner europäischen Nachbarschaft sollte dem nicht entgegenstehen.
Entscheidend für eine erfolgreiche Klimapolitik ist ein Wirtschaftswachstum der armen Regionen, das die Lehren aus der Industrialisierung der Vergangenheit zieht. Sich zu industrialisieren und gleichzeitig der fossilen Wirtschaft eine Absage zu erteilen ist eine wichtige Voraussetzung dafür.
Gerade in Bezug auf die ärmeren Länder gilt was Hannah Ritchie in ihrem Buch „Not the End of the World“ festhält: „Wir haben die Chance die erste Generation zu werden, die die Umwelt in einem besseren Zustand zurücklässt als in dem, den wir vorgefunden haben. Wir könnten die erste Generation sein, die Nachhaltigkeit erreicht.“
Das geht aber nicht im Alleingang, es bedarf einer globalen Zusammenarbeit auf neuer Basis. Dazu braucht es vor allem ein geändertes globales Finanzsystem, veränderte Handelsbeziehungen und einen forcierten Technologieaustausch. Und dazu müssen die reicheren Länder bereit sein.
Es gibt viele Gründe warum das notwendig ist. Allein die Tatsache, dass von den seit 1850 bis 2021 Millionen kumulierten CO2 Emissionen auf die Vereinigten Staaten 20,3 Prozent und auf die Länder der Europäischen Union 14,5 Prozent fallen, ganz Europa und Nordamerika aber 2021 gemeinsam nur auf 14% der Weltbevölkerung kommen, zeigt die extremen Ungleichgewichte. Und die gilt es wenigstens jetzt zu korrigieren.
Im Übrigen wird bis 2050 der Anteil von Europa von 9 auf 7 Prozent und der von Nord Amerika von 5 auf 4 Prozent zurückgehen. Und das sollte uns etwas bescheiden machen und gleichzeitig bereit zu mehr Unterstützung für den ärmeren Teil der Welt – schon aus eigenem Interesse. Und überdies gibt es eine lange Geschichte der Kolonialisierung in der der Westen, insbesondere Europa viel Schuld auf sich geladen hat. Mehr Unterstützung für die Länder des Globalen Südens kann auch als Teil der Wiedergutmachung verstanden werden, wenngleich die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft im Vordergrund stehen sollte.
Der Fall AFRIKA
Wenn wir die Armutsverhältnisse global betrachten, dann sticht vor allem ein Kontinent heraus: Afrika. Es ist der bevölkerungsmäßig am kräftigsten wachsende und in diesem Sinn jüngste Kontinent. Und zugleich handelt es sich bei Afrika um den Kontinent mit den größten Herausforderungen. Dort finden wir die größte Armut, die prekärsten Lebensbedingungen, die größten Probleme beim Zugang zu Wasser und zur Bildung und auch eine stark ausgeprägte digitale Armut der breiten Schichten der Bevölkerung.
Leider aber zeichnen diesen Kontinent auch viele bewaffnete Konflikte und immer wieder militärische Umstürze aus. Und da spielt vor allem Russland eine ungute Rolle, indem sie solche Umstürze gegen demokratische Regierungen unterstützt bzw. bestehende autoritäre Regierungen durch brutale Söldnertruppen am Leben erhält.
Afrika hat aber auch vielfältige Ressourcen, kann sie aber nur zum Teil nutzen. Einerseits sind es verschiedene Rohstoffe, die sowohl das fossile Zeitalter charakterisieren aber auch jene, die für die Energiewende, vor allem auch in Europa, notwendig sind. In beiden Fällen ist Afrika auf Ausbeutung durch internationale Konzerne aus Europa, den USA aber in zunehmendem Ausmaß aus China, Brasilien etc. angewiesen.
Immerhin in einem Vorwort zum Bericht „Just Transition- A Climate Energy and Development Report for Africa“ schrieb der Präsident von Kenia William S. Ruto:
„ Africa is bursting with possibilities and a vast endowment of natural resources. The continent’s renewable energy potential is 50 times greater than the anticipated global electricity demand for the year 2040. The continent also has 40% of the global reserves of key minerals for batteries and hydrogen technologies. Africa, also has the largest tracts off arable land, and the continent is young, with 70% of the people under 30 years of age. It is time to tap these riches to achieve the aspirations of the people. “
Dennoch spielen noch immer die Funde von fossiler Energie in den Überlegungen bestehende Ressourcen zur Bekämpfung von Armut und wirtschaftlicher Rückständigkeit auszunützen eine große Rolle.
Manche Länder, die größere Öl- und Gasvorkommen entdeckt haben, können dabei nicht verstehen, wenn sie von europäischen Ländern ermahnt werden, diese in der Erde zu lassen. Vor allem dann, wenn sie von denselben Ländern ermahnt werden, die schon über lange Zeit hindurch fossile Brennstoffe verwendet haben und von denen sie gleichzeitig wenig Unterstützung für die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung erwarten können.
Wie erwähnt, eine in Afrika in besonderem Maße zur Verfügung stehende Ressource ist die Sonne. Afrika verfügt über 60 Prozent der globalen solaren Ressource aber nur 1 Prozent der Kapazität zur Erzeugung solarer Energie. Und diese spezielle Energiearmut hat nicht nur Konsequenzen für den allgemeinen Lebensstandard, sondern auch katastrophale Auswirkungen auf den Ausbau des wirtschaftlichen Potentials. Der Ausbau dieser nachhaltigen Energie sollte daher im Mittelpunkt der interkontinentalen Zusammenarbeit stehen.
Ungenügende Hilfen von den Reicheren
Jedenfalls sind wir, die wir im wohlhabenden industriellen Norden leben, aufgerufen verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, den ärmeren Ländern und insbesondere unserem Nachbarkontinent im Süden zu helfen. Wir sollten das verstärkt als Österreich direkt aber auch im Rahmen der Europäischen Union tun. Leider sind wir da trotz mancher Verbesserungen säumig.
Und in letzter Zeit bemerken wir eine sehr kurzsichtige Politik, wenn die europäische Hilfe an die Ukraine zum Teil auf Kosten der Unterstützung für Afrika geht. So trägt auch die EU dazu bei, dass – ohne militärische Hilfe – für 1,5 Mrd. Menschen in Afrika, weltweit genau so viel an Entwicklungshilfe ausgegeben wird, wie für 44 Millionen in der Ukraine. Wir sollten vielmehr sowohl der Ukraine als auch den ärmeren Ländern im Globalen Süden helfen und sollten diese Unterstützung nicht als Nullsummenspiel betrachten.
Änderungen im globalen Finanzsystem
Entscheidend ist aber das internationale Finanzsystem neu aufzustellen, um mehr Investitionen in Afrika zu generieren. UN-Generalsekretär Antonio Gueterres sprach davon, dass das gegenwärtige „moralisch bankrotte globale Finanzsystem, das Armut und Ungleichheit verlängert“, geändert werden muss.
Ein neu gestaltetes Finanzsystem muss dazu beitragen, dass sich die afrikanische Wirtschaft diversifizieren kann und wettbewerbsfähiger wird. Und gleichzeitig geht es darum, sowohl die Armut zu bekämpfen als auch eine progressive Klimapolitik umzusetzen.
Wie schon erwähnt muss die Infrastruktur ausgebaut werden, um ein nachhaltiges Energieversorgungssystem zu etablieren. Dieser Ausbau dient aber auch der Verbesserung des Transportwesens, um interne aber auch internationale Absatzmärkte besser bedienen zu können.
Auch die Landwirtschaft braucht eine Modernisierung und vor allem ausgebaute und bessere Bewässerungssysteme. Dabei geht es in vermehrtem Maße auch darum klimabedingte Schäden zu bekämpfen und Ernteausfälle zu verhindern bzw. abzumildern.
Das Gesundheitssystem braucht ebenfalls viele Verbesserungen, noch immer sterben zu viele Menschen zu früh. Dabei geht es auch darum, vermehrt Impfstoffe und Medikamente in Afrika selbst zu erzeugen.
Grundsätzlich geht es darum, die Eigenständigkeit Afrikas – und anderer Regionen des Südens – zu fördern. Diese Länder sollten mehr an notwendigen Produkten und Leistungen, auch im Bereich von Forschung und Entwicklung, in Afrika selbst erzeugen. Der im Aufbau befindliche Gemeinsame Markt Ost- und Südafrikas COMESA und einige regionale Märkte sind wesentliche Schritte in dieser Richtung.
Neues Kapital und verantwortliche Regierungen
All das benötigt zusätzliche öffentliche, aber auch private Investitionen. Das dafür benötigte Kapital muss aber zu Zinsen erhältlich sein, die nicht von Vorhinein zu einer Überschuldung führen. Da sollten verstärkt auch die sogenannten Sonderziehungsrechte im Rahmen des Internationalen Währungsfonds helfen.
Was die bestehende Verschuldung betrifft, so ist sicher ein fairer Schuldennachlass notwendig. Für die Zukunft sind aber auch die Systeme der Bewertungen der Kreditwürdigkeit – credit rating – so zu gestalten, dass die langfristige Nachhaltigkeit der Verschuldung für Investitionen im Vordergrund steht. Viele afrikanische Länder müssen aus der Schuldenfalle herauskommen, brauchen dazu aber internationale Unterstützung.
Dies vor allem angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren der Anteil der privaten Kreditgeber gestiegen ist. Und die sind viel schwerer in Entschuldungsverfahren und -abkommen einzubinden. Es sollte jedenfalls vermieden werden, dass öffentliche Kreditgeber einen Schuldenschnitt akzeptieren müssen und gleichzeitig private Kreditgeber einen hohen Gewinn einstreichen.
All das bedingt aber auch ein wirtschaftlich verantwortungsvolles Verhalten der verschiedenen nationalen Regierungen in Afrika selbst. Ein internationales Finanzsystem – repräsentiert durch Weltbank und Währungsfonds, das die Bekämpfung von Armut und Klimaveränderungen in den Mittelpunkt stellt, muss auf Regierungen stoßen, die eben diese Ziele vertreten. Und es braucht auch private Investoren, die sich demgemäß einklinken. Und da könnte sicher auch aus Österreich mehr kommen.
Fairer Handel und technologische Zusammenarbeit
Mit Recht verweist der Bericht „Earth for All“ auch auf die Notwendigkeit fairer Handelsbeziehungen. Viel ist seitens der EU in diesem Sinn geschehen. Die Subventionen der Agrarexporte wurden abgebaut und Märkte zunehmend geöffnet. Aber bei weitem sind die internationalen Handelsbeziehungen noch nicht fair und für Afrika entwicklungsfördernd.
Überdies fürchten manche, dass durch Gesetze, wie das europäische Lieferkettengesetz, eine neue Abschottung des europäischen Markts über die Hintertür hereinkommt. Da gilt es – möglichst unbürokratische – Regelungen zu finden, die eindeutig dem Klimaschutz und sozialen Rechten der betroffenen Arbeitnehmer:innen dienen, ohne die wirtschaftlichen Möglichkeiten der exportierenden Länder zu konterkarieren.
Eine europäische Lieferkettengesetzgebung hat den Zweck einen Beitrag zur sozial und ökologisch verträglichen Entwicklung zu leisten. Allerdings muss man darauf achten, dass sie nicht dazu führt, dass Investoren, die diese Regeln nicht beachten müssen – zum Beispiel aus China, einen Vorteil daraus ziehen und europäische Investoren und Käufer ersetzen.
Aber es gibt über die traditionellen Handelsbeziehungen hinaus viele Möglichkeiten eine Kooperation zum gegenseitigen Nutzen auszubauen. So könnte – wie es bezüglich Österreich im Falle Tunesien im Gespräch ist – die Sonnenenergie verwendet werden, um Meerwasser zu entsalzen und dann daraus Wasserstoff erzeugt werden. Sowohl entsalztes Wasser aber auch der Wasserstoff kann dann auch lokal genutzt werden und es würden Arbeitsplätze geschaffen werden. Viele solche Kooperationsprojekte könnten von gegenseitigem Nutzen sein.
Wie erwähnt fordert der Bericht „Earth4All“ auch einen verbesserten Technologietransfer. Nun, wie ich mich selbst anlässlich mehrerer Reisen insbesondere in Kenia und Ruanda überzeugen konnte, ist Afrika keine „technologische Wüste“. Es gibt vor allem bezüglich digitaler Bezahlungssysteme mittels Mobiltelefon, dezentraler Energieversorgung mittels Solarmodule und dezentraler Medikamentenverteilung durch Drohnen durchaus innovative Entwicklungen. Aber es gibt ein großes Feld von technologischer Zusammenarbeit, die durchaus auch für beide Seiten von Vorteil sein kann und die noch ausbaufähig ist.
Wanderung als chance
Die globalen Migrationsströme werden in den reicheren Länder, so auch in Österreich vornehmlich als Gefahr und Bedrohung gesehen. Sie werden politisch instrumentalisiert. Notwendig wäre eine realistische und produktive Einstellung, die den Menschen in Europa/Österreich das Gefühl gibt, dass die Zuwanderung nicht „aus dem Ruder läuft“ und in Maßen stattfindet, die den eigenen Interessen nützt.
Die Migration aus Afrika in die Europäische Union bzw. konkret nach Österreich löst nicht alle Probleme des starken Bevölkerungswachstums in Afrika bzw. des Arbeitskräftemangels in Europa. Aber sie kann beiden Seiten helfen – wenn sie kontrolliert stattfindet und zur verstärkten Ausbildung von afrikanischen Jugendlichen in den Ländern der EU führt. Diese können dann sowohl in europäischen Ländern helfen den Mangel an Arbeitskräften zu mildern aber auch neue Qualifikationen nach Afrika zu bringen.
Dies kann vor allem funktionieren, wenn Migration auch als zirkuläre verstanden und angelegt wird, das heißt, dass ein Teil der Migrant:innen wieder nach Afrika zurückkehrt. Das wird vor allem dann funktionieren, wenn Europa hilft, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung in Afrika voranzutreiben.
Rational und zielgerichtet angegangen kann die Migration jedenfalls helfen, die Verbindungen zwischen Afrika und Europa zu stärken. Und eine solche Verstärkung ist für eine zielführende Klimapolitik absolut notwendig.
Wir sollten jedenfalls in Afrika nicht nur den konfliktreichen und hilflosen, sondern auch einen chancenreichen Kontinent sehen. Und diese Chancen gilt es auch für die globale Klimapolitik zu nützen – vor allem durch eine gemeinsame Bekämpfung der Armut.
Mehr dazu bei unserer Veranstaltung am 2.4.2024: https://www.clubofrome.at/veranstaltungen/event-2apr2024-kehrtwende1-armut/