Friedrich Hinterberger, Vizepräsident des Austrian Chapter des Club of Rome hat vom 1.-3. Juni 2022 am ersten „Wellbeing Summit“ in Bilbao teilgenommen. 900 Teilnehmer:innen aus 70 Ländern trafen sich, „to reflect and connect on what wellbeing means to each of us as individuals, organizations, and societies – it was an experience filled with inspiration, a bold step toward more collective action, and new commitments toward wellbeing to advance social change“, heißt es auf der Website des Summit. 

„How to introduce wellbeing into public policy“ war ein zentrales der dort behandelten Themen, über das am letzten Tag des „Summit“ drei (ehemalige) Minister*innen aus Argentinien, Frankreich und Jordanien sowie der Gründer einer neuen „political school“ namens „Fratelli tutti“ diskutierten. „Wie kann Wellbeing zu einem Leitbegriff für die Politik werden?“ fragte  Zainab Salbi, Gründerin der “Women for Women” und „Daughters for Earth“, die das Panel moderierte.  „Offenheit für die eigene Transformation durch das, was passiert“ postulierte Juan Maquieyra “,  Executive director der Fratelli Tutti Political School, und die Veränderung nicht als Gefahr sondern als Auftrag zu verstehen, den es leidenschaftlich anzunehmen gelte. „Life has more immagination than you“ erinnerte sich Najat Vallaud Belkacem, französische Frauen- und Bildungsministerin unter Francois Holland, an einen Leitspruch ihrer Mutter: „even if you fail: new doors open“.

Genau diese „Fähigkeit, sich selbst in eine positive Zukunft zu „projizieren“ beherrschte einen Großteil der Diskussion. Das Überdenken des Gegenwärtigen und die Formulierung neuer Geschichten („stories“) gehören zusammen. Neue Narrative brauchen aber auch eine neue Sprache: „eine Sprache des Geistes, der Herzen und der Hände, also der Umsetzung“ meinte Juan Maquieyra und  Mario Quintana, ehemaliger Vizekabinettschef der Regierung von Mauricio Macri in Argentinien, ergänzte: „Menschen brauchen Geschichten“. Die gegenwärtige „Geschichte“ des liberalen Kapitalismus sei völlig inakzeptabel und un-nachhaltig, das dahinter liegende anthropologische Modell „falsch“, meinte Quintana. Es werde aber auch von immer weniger Menschen akzeptiert.

Vor 80 Jahren, so Quintana, gab es noch drei miteinander im Wettbewerb stehende „Erzählungen“: den faschistischen Nationalismus, den sozialistischen Kommunismus und den liberalen Kapitalismus. Seither habe eine nach der anderen ihre Überzeugungskraft verloren – zuletzt auch der Kapitalismus. Die Menschen suchen aber nach solchen Geschichten und greifen mangels neuer auf die Versatzstücke früherer Erzählungen zurück, wie heute von rechten wie linken Populist*innen vorgebracht werden.

Genau das habe Zainab Salbi auch bei der Machtübernahme des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Irak sehen können, aus dem sie selbst stammt. Jede Gruppe, die davor nacheinander an der Macht war, hätte der Bevölkerung „Geld und Macht“ versprochen. „Jetzt schießen unsere Söhne auf uns“ zitierte sie eine Bewohnerin nach der Befreiung vom IS. Um das zu überwinden, brauche es ein neues Werte-System. Gerade junge Menschen suchen nach einer solchen Konsistenz der verschiedenen Ebenen.

Künstler*innen können dabei helfen, solche neuen „Erzählungen“ zu finden, meint Vallaud, wenn es darum geht, das un-denkbare zu denken. Hoffnung und Mut, spiele dabei eine wichtige Rolle, ergänzte Haifa Najjar, Kulturministerin in Jordanien.  Und Zainab Salbi ergänzte, dass dies gemeinsam mit den Menschen passieren müsse: „this is the era of the people“, aber auch: „we need to push the agenda forward“, womit sie offenbar die „Wellbeing Community“ meinte, die zu diesem Summit zusammen gekommen ist.

Die Politik müsse sich dabei aber auch um die handfesten Dinge kümmern, wie etwa materielle Grundversorgung und die physische Sicherheit, so Najat Vallaud Belkacem in ihrem Schlussstatement wohl ganz im Sinne von  Juan Maquieyra, der meinte: „We need to educate politicians – they are part of the solution“. Die Langfassung dieses Beitrags findet sich hier: https://cooppa.at/wellbeing-als-grundlage-fuer-eine-neue-politik/.


 Das Austrian Chapter widmet sich dem Thema mit dem Ziel Indikatoren des Fortschritts „beyond GDP“ zu entwickeln (siehe http://wellbeing.clubofrome.at).