Die Ermächtigungskehrtwende des letzten Berichts des Club of Rome „Earth4All“ konzentriert sich auf die Geschlechtergerechtigkeit. Sie ist eine zentrale Herausforderung für eine sozial gerechte aber vor allem klimagerechte und nachhaltige Entwicklung. Aber sie ist eng verbunden mit der Frage der Bildung und Ausbildung.
Darüber sprechen wir in der nächsten 🔗Veranstaltung des Earth4All Projektes am 17.5.2024.
von Hannes Swoboda (11.04.2024)
Gender, RandGruppen und Bildung
So meinen die Autor:innen des Berichts: “In der turbulenten Übergangsphase haben öffentliche Investitionen in Bildung für alle höchste Priorität. Aber nicht in irgendeine Bildung. Das gesamte Bildungssystem muss überdacht werden: Wir müssen die Bedeutung lebenslangen Lernens in den Vordergrund stellen sowie die enge Verknüpfung zwischen den Menschen und den Ökosystemen.“ Leider wird gerade auch in Österreich viel über Bildung diskutiert aber wenig über Bildung als Voraussetzung für die vor allem klimapolitisch notwendige Transformation.
Aber zurück zur Gendergerechtigkeit. Was die Situation der Frauen betrifft, so geht es nicht nur um die unterschiedliche Entlohnung bei gleicher Arbeit. „Frauen verdienen nicht nur weniger als Männer, sie sind auch unverhältnismäßig oft im Niedriglohnsektor beschäftigt und stehen vor „gläsernen Decken“, die ihnen den Zugang zu Spitzenjobs versperren“. Überdies sind sie oft mit einer Doppel- oder Dreifachbelastung konfrontiert. Das ist nicht nur in vielen ärmeren Ländern der Fall, wo oftmals die Frauen die schweren Arbeiten in der Landwirtschaft leisten, sondern auch in den europäischen Gesellschaften.
Jedenfalls sind die Bildung und Ausbildung mit der Frage der wirtschaftlichen und sozialen Emanzipation der Frauen eng verknüpft. Je mehr Frauen in den Bildungsprozess integriert sind, desto eher haben sie die Möglichkeit, sich in der Gesellschaft gegen noch herrschende Vorurteile und Diskriminierungen durchzusetzen.
Der Bericht „Earth4All“ unterstreicht aber auch die Notwendigkeit, verschiedene an den Rand gerückte Gruppen, wie Einwander:innen und Geflüchtete, aber auch Langzeitarbeitslose zu ermächtigen am Transformationsprozess aktiv teilzunehmen. Auch diesbezüglich spielen die Bildung und Ausbildung eine zentrale Rolle.
Jedenfalls ist die Herangehensweise der „feministischen Ökonomie“, der grundsätzlich neue Ansatz, der für sich in Anspruch nimmt, auch die anderen „unterprivilegierten“ Gruppen und deren Interessen zu vertreten. So meint die österreichische Sozioökonomin Corinna Dengler in ihrem Beitrag: „Caring for Future: Feministische Ökonomie und Klimakrise“, dass „eine feministische Betrachtungsweise der Klimakrise sich nicht darin erschöpfen kann, ungleiche Geschlechterverhältnisse zu analysieren. Vielmehr geht es darum, das Zusammenspiel von zerstörerischen gesellschaftlichen Naturverhältnissen, Patriarchat, Rassismus/Kolonialität, Klassenverhältnissen in den Blick zu nehmen und eine intersektional-feministische Analyse zu wagen.“
Selbstverständlich beschäftigt sich die feministische Ökonomie vor allem mit der Tatsache, „dass jeder Produktionsprozess in der „monetären Ökonomie“ auf unbezahlter Sorgearbeit und einem kostenlosen Zugriff auf die Natur basiert.“ Dabei ist zu hoffen, dass die angestrebte Arbeitszeitverkürzung bzw. besser die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit zu klimafreundlichen Beschäftigungen führt und das Klima nicht noch mehr belastet. Daher sollte sie so gestaltet werden, dass sie mehr Zeit für die – eher täglich anfallende unbezahlte Sorgearbeit und für verschiedene Gemeinwesenaktivitäten schafft. So kann auch die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit den gesellschaftlichen Transformationsprozess unterstützen.
Klimapolitik als Teil der gesellschaftlichen Veränderungen
Die entscheidende Frage ist also generell, durch welche gesellschaftspolitischen Maßnahmen und Entwicklungen wir zur globalen, europäischen und österreichischen Kehrtwende kommen. Wie und wodurch sind die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bereit bzw. befähigt, die Große Transformation zu initiieren bzw. zu unterstützen? Es ist ja übrigens nicht die einzige Transformation, die uns begleitet bzw. die neue Herausforderungen an uns stellt.
Der deutsche Soziologe Uwe Schimank spricht von drei Integrationsproblemen: Sozialintegration, Systemintegration und ökologische Integration. Und er meint bezüglich der ökologischen Integration: „Im Einzelnen ist allerdings sehr schwer festzumachen, welches Ausmaß an Desintegration, also Nichtnachhaltigkeit, noch gesellschaftlich aushaltbar ist, mit welchen Kosten und für wie lange und welche Kipppunkte irreversibel überschritten werden.“
Das Annähern an diese Kipppunkte und die damit verbundene Frage der Unumkehrbarkeit beschäftigen viele Autor:innen aber auch Klimaaktivist:innen. Der Direktor des Max-Plank-Instituts für Gesellschaftsforschung Jens Beckert meint dazu: „Wir müssen uns auf eine Temperaturerhöhung von 2,5 auf 3 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts einstellen“. Er spricht in diesem Zusammenhang von „nachdenklichem Realismus“. Das bedeutet für ihn allerdings keineswegs die Resignation, sondern ein Aufruf zum Handeln: „Wir müssen uns auf die Erderwärmung einstellen, aber gleichzeitig die Optionen nutzen, die uns bleiben: Die Investitionen in grünes Wachstum verdreifachen und Klimamaßnahmen nicht von oben herab bestimmen, sondern viel stärker unter Einbeziehung der Bevölkerung entstehen lassen.“
Jens Beckert unterscheidet in seinem Buch „Verkaufte Zukunft“ drei Faktoren, die die Möglichkeiten bzw. Schwierigkeiten des Transformationsprozesses beeinflussen: „Hierbei stehen die Wachstums- und Gewinnlogik des kapitalistischen Wirtschaftssystems mit seiner Marktlogik, die politischen Legitimationsprobleme demokratischer politischer Systeme sowie Fragen der kulturellen Identität und der Statuskonkurrenz von Bürgern und Konsumenten im Mittelpunkt.“
Kapitalismus in europa
Was aber Beckert und viele andere noch mehr übersehen, ist, dass im Rahmen der Europäischen Union durch den Green Deal und den nachfolgenden Gesetzen und Maßnahmen eine – wenn auch begrenzte – Korrektur des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Systems vorgenommen wurde. Viele Regeln widersprechen dem reinen Gewinnstreben bzw. definieren die Profitziele neu. Wenn auch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament manche Maßnahmen durch konservative Kräfte abgeschwächt wurden, so ist nicht mit einer radikalen Umkehr einer solchen regelbasierten Politik zu rechnen. Und zu hoffen ist, dass der mit dem absehbaren Rechtsruck verbundene Politikschwenk weg von einer aktiven Klimapolitik nicht zu stark ausfällt.
Was nun konkret Österreich betrifft, so hat es mit seinem System der Sozialpartnerschaft noch stärkere Möglichkeiten der wirtschaftlichen Steuerung, wenngleich die Sozialpartnerschaft an Einfluss verloren hat. Die Frage ist, ob durch eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft eine stärkere und gesellschaftlich abgestimmte Klimapolitik in Österreich umgesetzt werden könnte.
Insgesamt jedoch stößt die europäische, regelbasierte Politik global auf große Herausforderungen, wenn andere Mächte, wie die USA und China, den Weg der massiven Subventionen gehen. Europäische Länder sehen sich dann gezwungen nachzuziehen. Immerhin jedoch, der klassische rein auf Profit orientierte Kapitalismus existiert nicht mehr bzw. wird durch gesetzliche Regeln und/oder Subventionen korrigiert. Soweit zum Verhältnis Staat und Wirtschaft.
Was das Verhältnis Staat zu den Bürger:innen und Konsument:innen betrifft, so hat sich immer mehr eine Individualisierung durchgesetzt. Diese kann als Befreiung von vielen gesellschaftlichen Zwängen angesehen werden. Und das ist sie zweifelsohne. Anderseits stoßen staatlichen Regelungen, die in Widerspruch zu gewohnten Konsumentenverhalten stehen, oftmals auf Widerstand. Viele stehen staatlichen Eingriffen feindlich gegenüber. Wir haben das in Zeiten von Corona bei verschiedenen Demonstrationen gesehen und wir sehen das immer wieder beim Widerstand gegen Windräder etc. Viele wehren sich auch gegen „Ernährungsvorschriften“. Und dennoch müssen wir überlegen, wie wir die Bürger:innen/Konsument:innen stärker in die klimapolitischen Entscheidungen einbeziehen können – ohne in die Illusion zu verfallen, dass die Bürger:innen schon die richtigen Entscheidungen treffen würden, wenn sie die Politik nur lassen würde.
Erweiterung der Demokratie als Ermächtigung
In Österreich ist eine Bürger:innenbeteiligung zuletzt mit der Schaffung und Einbeziehung eines Klimabeirats aber auch durch Abstimmung über das Aufstellen von Windrädern in einigen niederösterreichischen Gemeinden geschehen. Sind das die Instrumente, die es auszubauen gilt? Sollten eher Beratungsgremien geschaffen werden, die die bestehenden gewählten Institutionen ergänzen. Sollte also eine Art Zukunftskammer geschaffen werden, die vor allem die Jugend und deren Interessen in den Fokus der Klimapolitik rückt. Oder sollten die unmittelbar betroffenen Bürger:innen über die einzelnen Projekte abstimmen – von Windrädern über großflächige Solaranlagen bis zur Schürfung von Metallen und seltenen Erden, die wir für die umfassende Elektrifizierung brauchen.
Für die Schweiz wurde unlängst die Etablierung eines „Zukunftsrats gegen die Klimakrise“ vorgeschlagen. Sie sollte aus 100 durchs Los bestimmte Personen bestehen und ein aufschiebendes Veto gegen Beschlüsse der beiden anderen Kammern beschließen können. Dieses Veto könnte dann durch die beiden traditionell gewählten Kammern aufgehoben werden. Aber der Zukunftsrat würde sicherlich die öffentliche Debatte beleben und widersprechende Beschlüsse der bestehenden Kammern schwerer machen. Allerdings wandten einige gegen diesen Zukunftsrat ein, dass er die parlamentarischen Beschlüsse, die ja dringend notwendig sind, noch mehr verzögern würde. Andere wieder meinten, es wäre besser, einen aus Expert:innen bestehenden Zukunftsrat einzurichten. Wie auch immer die Frage einer Ergänzung der bestehenden Institutionen steht im Raum.
Wir müssen uns also ernsthaft über den Ausbau der Demokratie unterhalten. Dabei wird man aber vor allem Wert darauflegen müssen, die bestehenden Institutionen in ihrer Effizienz und Verantwortung zu stärken – auch wenn man bzw. indem man neue schafft, die diese kritisch begleiten. Eine erfolgreiche gesellschaftliche Transformation muss aus einem Wechselspiel aus breit angelegten und allgemein gewählten Institutionen mit zivilgesellschaftlichen Institutionen und Gruppierungen entstehen. An Diskussionen über die Ziele und Mittel der Transformation führt kein Weg vorbei. Unsere Gesellschaften leiden geradezu am Mangel ernsthafter Auseinandersetzungen über langfristige Ziele.
Die Missachtung solcher langfristiger Ziele wurde auch von einigen Bürgerinitiativen vor die obersten Gerichte gebracht. Nach einem Erkenntnis des deutschen Bundesverfassungsgerichts hat nun der Entscheid des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg für Aufsehen gesorgt. Er hat aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Menschenrecht auf Klimaschutz abgeleitet. So hat der Schweizerische Verein der Klimaseniorinnen“ mit ihrer Argumentation, dass die Schweiz notwendige Klimamassnahmen unterlassen habe, Recht bekommen. Auch wenn weder die Schweiz noch die Europäische Union allein die Erderwärmung aufhalten könne, sind diese Länder verpflichtet entsprechende Maßnahmen zu setzen. Der Weg zum Gericht – unter der Voraussetzung, dass die formalen Regeln eingehalten werden – ist sicher eine Stärkung der Bürger*innen in Bezug auf Klimaschutz.
In den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen spielen auch die Medien eine Rolle, die ebenfalls zwischen der Verkündung nahender Katastrophen und der Verneinung der notwendigen Maßnahmen schwanken. Sie für eine kritische Begleitung des notwendigen Transformationsprozesses zu gewinnen, wird entscheidend sein. Selbstverständlich spielen heute die verschiedenen sozialen Rolle – vor allem bei jüngeren Menschen – die entscheidende Rolle. Wir müssen uns alle überlegen, wie wir gerade auch über und mit diesen Medien den gesellschaftlichen Transformationsprozess begleiten und befördern können.
Mehr dazu bei unserer Veranstaltung am 17.5.2024: https://www.clubofrome.at/veranstaltungen/event-17mai2024-kehrtwende3-empowerment/